Klaus Honnef
Zeichnung und Malerei, die überlieferten künstlerischen Techniken und Disziplinen, sind für Johannes Busdiecker lediglich Stationen auf dem Wege zu noch komplexeren Ausformungen künstlerischer Praxis. Weil keine bessere Bezeichnung zur Hand war, hat man sich darauf verständigt, diese als „Installationen“ zu apostrophieren. Inzwischen hat sich herausgestellt, daß darunter alles und nichts zu verstehen ist. Installationen führen häufig nur unklares künstlerisches Denken vor Johannes Busdiecker macht es sich da schwerer. Er verfolgt die Idee vom Ensemble künstlerischer Impulse. In diesem Zusammenhang spielt der Ort, wo er seine Ensembles hinstellt, eine entscheidende Rolle. Bisweilen liefert ein solcher Ort auch die Inspiration für eine Installation. Dabei interessiert den Künstler nicht allein die spezifische, architektonische Gegebenheit eines bestimmten Raumes, sondern ebenso, ja stärker dessen Geschichte. Erst seine Geschichte macht einen x-beliebigen Raum zu einem Ort. Johannes Busdiecker begreift Geschichte als einen Prozess beständiger Veränderung. Und vielleicht gilt seine besondere Aufmerksamkeit auch deshalb einer Erscheinung, die sich im Darstellungsmodus von Malerei und Zeichnung allenfalls als illusionistischer Effekt oder Allusion fassen läßt: der Bewegung.
Die Video-Installation talking about walking (1993) besteht aus einem quadratischen, verbleiten Wasserbecken, in das der Künstler vier Monitore mit der Mattscheibe zur Wasseroberfläche ausgerichtet versenkt hat, vier schlichten Stühlen, ebenfalls aus Blei, die an jeder Seite des Wasserbeckens, jeweils auf die Mitte hin plaziert sind, einer Videoschleife sowie einem Taktgeber, und auf die ansonsten ruhige Oberfläche des Wassers fällt in kontinuierlichem Abstand ein Tropfen, der auf der Wasserfläche konzentrische Ringe erzeugt. Die Videoschleife zeigt reihum. Ein Monitor ist „aufgeblendet“. Er sorgt für eine Art Kadenz. Mit diesem künstlerischen Ensemble findet Johannes Busdiecker eine wunderbare Balance von Ruhe und Instabilität, von Statik und Dynamik. Und wie in manchen seiner Bilder, die mit einem Wechsel von Positiv und Negativ arbeiten, ruft auch die Installation talking about walking den Eindruck von gleichzeitiger An- und Abwesenheit auf. Die menschliche Figur auf der linken Bildhälfte als „positiver Schattenriss“, auf der rechten in angedeutetem malerischen Volumen. Angesichts seiner Installation befinden sich die Betrachter in dieser verstörenden Situation von Teilnahme bei gleichzeitigem Ausgeschlossensein.
In jüngster Zeit hat der Künstler für seine Bilder Gaze verwendet, die er mit Säure behandelt, um zu malerischen Wirkungen zu gelangen. Neben Säuren benutzt er auch Katalysatoren bei der Herstellung seiner Bilder. Die figürliche Malerei bildet seinen künstlerischen Hintergrund. Johannes Busdiecker realisiert sein Programm in Folgen von aufeinanderbezogenen Arbeiten – auch diese bilden ein Ensemble. Und ebenfalls instrumentieren sie das Thema der Bewegung. Ein Repertoire von Standardfiguren, die sich unablässig wandeln, belebt seine Bilder, gewissermaßen verflüssigte Körper. Zu Recht weist der Künstler darauf hin, daß auch Blei, das Material für die Video- Installationen, ein „weicher Stoff“ ist.
So entpuppt sich plötzlich als Einheit, was auf den ersten Blick heterogen, widersprüchlich anmuten mag. Denn die Korrespondenzen zwischen den einzelnen Bestandteilen der Ensembles der künstlerischen Arbeit von Johannes Busdiecker wie auch der unterschiedlichen Disziplinen, die er angeht, sind evident.
For Johannes Busdiecker drawing and painting, the traditional techniques and disciplines of art, are only stages on the way to more complex forms of artistic practice. As there was no better term available one agreed to name these forms “installations”. In the meantime it has been proved that this means all and nothing. Often the installations demonstrate equivocal artistic thinking. However, Johannes Busdiecker takes it more serious. He follows the idea of the ensemble of artistic impulses. In this context the location, where he places the ensemble plays a major role. Sometimes such a location eyen serves as the inspiration for such an installation. It is not just the architectural conditions of a particular room that the artist is interested in but also, and even more so, it's ‘history’. It is it’s ‘story’ or ‘history’ that turns any old room into a location. Johannes Busdiecker understands ‘history’ as a process of constant development. And may be that is why his particular attention is paid to an appearance, that is hardly to describe in painting and drawing: the movement.
The video-installation talking about walking (1993) consists of a square, lead-coated water-basin, in which the artist has sunk four monitors facing the watersurface, four simple chairs, also lead-coated, placed at each side of the basin and facing the centre, a continually self-repeating video as well as a metronome. In constant intervals a drop fall on the quiet surface of the water and produces concentric rings on the watersurface. One monitor is “on full beam”. It ensures a kind of cadence. With this artistic ensemble Johannes Busdiecker finds a wonderful balance between quietness and instability, between static and dynamic. And as some of his pictures the installation talking about walking also arouses the impression of presence and absence at the same time. In his pictures the human figure on the left half is presented as a “positive silhouette” and on the right half in suggestive picturesque volume.
As far as this installation is concerned, the beholders are in the disturbing situation of attendance and at the same time of exclusion. Recently the artist has been using gauze for his pictures that he treated with acid to come into picturesque effects. Apart from acids he also uses catalic converter for the construction of his pictures. The figurative painting serves as his artistic background. Johannes Busdiecker realises his programme in sequences of works that refer to another – these works also form an ensemble, and they instrumentalise the motif of motion. His pictures are livened up by a repertoire of standard figures, which are constantly changing, almost like liquefied bodies. Rightly he points out that also the lead, the material for his video-installations is a “smooth substance”.
Thus, what seemed to be heterogeneous and contradictory at first glance, suddenly turns out to be a union, because the correspondence between the single elements of the ensemble of Johannes Busdiecker’s artistic work and of the different disciplines, that hetries out are evident.
↑
Susanne Hinrichs
Kunstwissen-
schaftlerin
„Den Bildern den Raum erklären“
Auszug aus der Eröffungsrede
Galerie F38 Bremen,
Mai 2000
Warum muß man eigentlich den Bildern den Raum erklären? Sollten nicht die Bilder uns etwas erzählen über den Raum, oder über die Welt. Sollten sie nicht Erklärung bieten über Unerklärliches, über Dinge, die uns immer wieder fragen lassen warum, wieso, weshalb? Den Bildern den Raum erklären. Welchen Raum eigentlich? Den architektonischen Raum, den Geschichtsraum, den Raum, den unsere Gedanken einnehmen.
Der Philosoph Michel Foucault unterteilt den Raum in zwei Kategorien: wenn er vom inneren Raum spricht, meint er damit den Raum unserer ersten Wahrnehmung, den unserer Träume, den Raum unserer Leidenschaften. Den Raum des Äußeren dagegen beschreibt er als einen nicht von Grund her leeren Raum. Er sagt: „Wir leben nicht in einer Leere, die nachträglich mit bunten Farben eingefärbt wird. Wir leben innerhalb einer Vielfältigkeit von Beziehungen, die Plazierungen definieren, die nicht aufeinander zurückzuführen und nicht miteinander zu vereinen sind.“ Dieser Versuch der Unterscheidung von Raum und Raum führt laut Foucault aber nicht zu einer endgültigen „Entsakralisierung des Raumes“, wie er es nennt: „Trotz aller Techniken, die Ihn besetzen, und dem ganzen Wissensnetz, das ihn bestimmen und formalisieren läßt, ist der zeitgenössische Raum wohl noch nicht gänzlich entsakralisiert. Gewiß hat es eine bestimmte theoretische ‚Entsakralisierung‘ des Raumes gegeben, aber wir sind vielleicht noch nicht zu einer praktischen ‚Entsakralisierung‘ des Raumes gelangt.“
Diese Äußerung Foucaults im Jahre 1967 anläßlich eines Vortrages in Paris über „Andere Räume“ könnte für Johannes Busdiecker ausschlaggebend gewesen sein über Räume nachzudenken. Ich sage bewußt „könnte“, denn der Künstler bezieht sich nicht explizit auf die Worte dieses Philosophen. Der Gedankengang, den Foucault aber vor 30 Jahren vorgelegt hat, und der seinerseits auf Galileis Vorstellung des Universums zurückzuführen ist, ist aber eine ähnliche und daher die Gegenüberstellung durchaus legitim. Es brennt dabei natürlich die Frage: ist es Johannes Busdiecker gelungen, zu Beginn eines neuen Jahrtausends die alte Frage zu klären, oder gar den Raumzu entsakralisieren?
Eine Antwort darauf erhalten wir nur, wenn wir uns im Folgenden dem zuwenden, was wir heute hier unmittelbar sehen und erfahren können.
Ein Bunker als Ausstellungsraum ist sicher ein recht ungewöhnlicher Ort, auch wenn der Trend sich zunehmend durchsetzt gerade ungewöhnliche Orte zu Kunstorten zu machen. Schon seit den 60-er Jahren und eigentlich schon seit Duchamp in den 10-er und 20-er Jahren suchen Künstler nach einem neuen Kunstverständnis, welches nicht mehr nur das Werk als isoliertes Objekt zu fassen mag, sondern immer mehr seine Umgebung, seinen Raum eben, reflektiert.
Johannes Busdiecker läßt sich von besonderen Orten anziehen und benutzt den vorgefundenen Raum als Inspirationsquelle. Ganz unmittelbar und zugleich mit einer intuitiven Zielgerichtetheit geht Busdiecker dabei vor, was vielleicht eine kleine Geschichte, die uns während der Vorbereitung der Ausstellung widerfahren ist, belegen kann: Die über das Telefon vermittelte, Beschreibung des Ortes, die ich damals versuchte, das es sich um einen Bunker handelte, mit Wohnung auf dem Dach und unten fast unveränderten Galerieräumen, stieß zunächst auf soviel Interesse, daß Johannes Busdiecker zusagte, sich den Raum einmal anzusehen. Die Begehung ergab Folgendes (und eigentlich hätte ich es vorher ahnen müssen): Die Galerieräume sind gut, aber wirklich interessiert war er an den zwei oberen Räumen, die dem Hauseigentümer als Abstellkammer bzw. Werkstatt dienen. Nicht der für Kunst ausgeschriebene Ort war relevant, sondern der zunächst unscheinbare, unordentliche, nicht weiß gestrichene Raum. Hier wollte er agieren, denn hier findet er den nicht leeren Raum mit den Farbflecken und deren Beziehungen und Verflechtungen vor, von dem Foucault sprach, und welches der eigentliche wahre, lebendige Raum ist.
Eine Vorstellung darüber, was er hier installieren wird, war schnell eindeutig, während die Ausgestaltung der unteren Räume einem langen Prozeß unterlagen und viele Gespräche forderten.
Nun sprach Foucault von zwei Kategorien des Raumes, dem Inneren und dem Äußeren. Der Innere Raum des Bunkers ist seine Funktion als Schutzraum, seine Geschichte zu Kriegszeiten und die vielleicht menschlichen Dramen die sich hier abgespielt haben mögen.
Der Äußere Raum ist seine Architektur, die dicken Wände, die weder Wärme noch Kälte wirklich durchdringen lassen, der nahezu hermetisch abgeschlossene Raum. Und die Spuren an den Wänden, die abgeplatzte Farbe, einzelne Worte und Zeichnungen von welcher Hand auch immer. Besonders aber die Symetrie der gegenüberliegenden Räume sprachen die Sinne des Künstlers an. Jeweils ein Zelt hat Busdiecker hier aufgestellt. Fast spiegelverkehrt einander gegenüber stehend, ohne sich wirklich gegenseitig wahrnehmen zu können.
Das Paradoxon eines, bzw. zweier Zelte in einem Gebäude unterzubringen, welches ohnehin Schutz vor jeder Art von Gefahr bieten kann, wird schnell offensichtlich. Das Zelt hat es da als Schutzfunktion sehr viel schwerer. Soll aber selbes meinen. Also ein Raum/Behausung im Raum. Eine Dopplung, die auch auf inhaltlicher Ebene deutlich wird. Ein Zelt läßt an zweierlei erinnern und eigentlich bedarf es nicht vieler Accessoires seitens des Künstlers dies zu bebildern. Ein Koffer steht neben dem einen Zelt und die Assoziation an Flucht und Flüchtlingslager kommt dem Betrachter in den Sinn. Auf der anderen Seite steht zufällig ein Fahrrad und sogar ein Surfbrett im Raum und es ist klar, daß hier das Ferienzelt gemeint ist. Die Installation ist in Schwarzlicht getaucht und die Türausschnitte mit einem mit Folie bespannten Keilrahmen verschlossen. Diese hermetische Verriegelung erweckt den Eindruck, als sei die Szenerie nicht wirklich, es erscheint wie ein Bild, wie ein flüchtiger Gedanke, der sogleich wieder verfliegt.
Das nicht eindeutige Bild, welches sich je nach Betrachterstandpunkt verändert, bietet demnach genügend Fläche für eigene Projektionen und für unterschiedliche Wahrnehmungsmöglichkeiten. Der erforderliche Standortwechsel impliziert eine Bewegung die nicht nur eine rein äußerliche sondern auch eine der Gedanken sein kann. Kant sagt: Erkenntnis über das WIE erlangen wir immer über Sinneseindrücke, das WAS erfahren wir über die Vernunft. Diese Erkenntnis unterliegt aber Bedingungen, die in uns selber liegen und unsere Erfahrung prägen. Zwei Formen dieser Anschauung sind Raum und Zeit. Für Kant sind diese zwei Parameter nicht nur grundlegende Voraussetzung zu erfahren, sie sind vielmehr unumgänlich in uns hineingeborene Strukturen, die zu Erkenntnis führen. Wie eine rosa gefärbte Brille stehen Raum und Zeit immer schon vor der Erkenntnis. Sie sind Eigenschaften unseres Bewußtseins und nicht der Welt. Bevor wir also eine Erfahrung machen können wir sicher sein, daß diese unbedingt in Raum und Zeit existiert. Demnach kann keiner eine Erklärung darüber abgeben wie die Welt ist, einzig darüber wie sie uns erscheint läßt sich eine Aussage machen.
Erkennen von Welt und ihr Erscheinen ist auch Thema Johannes Busdieckers. Er greift die Theorie Kants nicht bewußt auf, aber sie manifestiert sich in seinem Werk. Der Künstler wagt sogar noch einen weiteren Schritt, der scheinbar in Kants Aussage fehlt. Busdiecker geht davon aus, das Erkenntnis nur möglich ist durch Bewegung, das heißt Bewegung führt zu Erkenntnis und ist gleichzeitig auch Erkenntnis im Sinne von Erfahrung. Durch Bewegung erreiche ich andere Standpunkte und neue Blickwinkel, doch auch diese Bewegung findet immer in Raum und Zeit statt. Die Bilder und Installationen fordern zu dieser Bewegung auf und vergegenwärtigen uns das Spiel mit Raum und Zeit.
Um Bewegung im Sinne von Prozessen geht es dem Künstler in den neuen und älteren Bildern, die nicht eigenständig sondern als Teil des Ensembles zu verstehen sind. Busdiecker verwendet Gaze, die er präpariert indem er sie um Metallplatten wickelt, feucht hält und Druck ausübt. Dies geschieht 10 Minuten lang, drei Tage oder vier Wochen und wird erst dann beendet, wenn die Gaze durch Korrosion eine den Vorstellungen des Künstlers entsprechende Struktur angenommen hat.
Es liegen diesem Verfahren, welches durch minimale Zugaben von Säuren beeinflußt werden kann, zwei Formen von Bewegung zugrunde. Zum einen die Bewegung von einem Zustand in den anderen. Von unbehandelter Metallplatte über Korrosion hin zu einer Veränderung der Gaze. Diese Bewegung ist nicht, oder nur kaum beeinflußbar und bezieht den Zufall immer bewußt oder unbewußt mit ein. Der andere Eindruck der Bewegung entsteht vor dem fertigen Bild selbst, durch Oszillation der monochromen Farbe und Beize und die nie eindeutig geometrische Form der Gaze. In fast allen Leinwandarbeiten des Künstlers findet sich ein Stück derart behandelter Gaze, aber auch Bitumen als tiefschwarze und zugleich reflektierende Farbe, sind immer wieder auftretende Komponenten des künstlerischen Schaffens.
Neuerdings verwendet Busdiecker Folie als Bildträger, was dazu führt, daß hinter dem Bild Liegende sichtbar und somit Teil des Bildes wird. Durch die Dopplung der Leinwand ergeben sich je nach Standort des Betrachters unterschiedliche Bilder, wobei es ein richtiges, oder optimales Bild nicht gibt. Dieses häng, um im Sinne Kants zu sprechen, immer von der individuellen Einsichtigkeit des Betrachters ab. Ein Blick über die Bilder verrät auch die Vorliebe des Künstlers zu quadratischen Formen. Mal groß, mal klein, mal präzise umrissen, mal mit unsicherer Linie suchend, findet das Quadrat immer wieder seinen Platz in Busdieckers Leinwänden.
Einige dieser geometrischen Figuren formen sich aber nicht aus der Hand des Künstlers, sondern sind durch das Format eines kleinen Polaroidfotos vorgegeben, welches der Künstler als selbstständiges Element in die Arbeiten integriert.
Ähnlich wie die Gaze den eingeleiteten Prozeß selbst vollzieht, entwickelt sich auch das Polaroid – einmal auf den Auslöser der Kamera gedrückt – von selbst. Es zeigt immer wieder das selbe Motiv zu verschiedenen Tages- und Jahreszeiten. Es ist also nicht nur geometrische Form innerhalb zahlreicher Varianten des Quadrats, sondern trägt auf der inhaltlichen Ebene zu der Gesamtstruktur des Ensembles bei. Denn in diesem Abbild manifestiert sich zum einen der Raum, immer derselbe, aus der gleichen Perspektive und ohne Überschneidungen. Zeigt uns der Künstler unterschiedliche Lichtverhältnisse, so spielt er zugleich auf die oben schon erwähnten Zusammenhänge von Raum und Zeit an, der sich im gesamten Werk seines Schaffens manifestiert.
Im „Schwarzlichtraum“ begegnet uns eine zunächst völlig neue Situation, die vielleicht etwas befremdlich wirkt und den Eintretenden zögern läßt. Doch eigentlich findet sich hier nicht wirklich Fremdes oder gar Bedrohliches, der einzige Unterschied ist der, daß wir schon während wir gehemmt den Raum betreten, Teil seiner selbst werden und somit Teil des Kunstwerkes. Sobald der Betrachter in dieses merkwürdig blaue Licht eintaucht, kann er sich dem nicht mehr entziehen, ein zweiter Betrachter sieht ihn nur noch in diesem blauen Licht, er hat keine andere Chance der Wahrnehmung mehr. Erinnern wir uns doch an Kants rosa Brille und seinen Weg zur Erkenntnis. Raum und Zeit sind hier zwar nicht rosa, Busdiecker macht sie aber dennoch sichtbar und unmittelbar spürbar, eben blau.
Aber diese Installation wäre nicht die des Künstlers, den wir bereits kennengelernt haben wenn er nicht noch ein weiteres Spiel treiben würde. Mit seinen Installationen bezieht sich Busdiecker nicht nur auf Raum und Zeit im allgemeinen, sondern auch im Spezifischen. Scheinbar wahllos in die Ecke geworfene Monitore zeigen im 20 Sekundentakt drei verschiedene Bildfolgen. Ein von der Seite gefilmter Gehender, eine Person die versucht einen Klappstuhl zusammenzulegen und das uns schon bekannte Polaroid der Landschaftsaufnahme als filmische Sequenz. Alle drei Sequenzen stehen für Kants Zeit und Raum und für Busdieckers Bewegung. Der Gehende schreitet von A nach B legt also eine Strecke zurück, definiert einen Raum, dies ist nur möglich durch Bewegung und es vergeht Zeit. Ebenso das Szenenbild der Landschaft, nur daß hier die Verhältnisse umgekehrt werden. Und hoffentlich erlangt der Verzweifelte mit seinem Stuhl endlich die Erkenntnis, daß man einen Klappstuhl nicht einfach zusammen klappen kann.
Ein Blick in das leere Bild an der gegenüberliegenden Wand läßt uns selbst als denjenigen erkennbar werden, der den Stuhl zusammenlegt.
Um dieses Spiel von Zeit und Raum, das nur durch Bewegung ermöglicht wird, kreist die vielfältige Arbeit des Künstlers seit Jahren. Die unterschiedlichen Medien ermöglichen dem Autodidakten immer neue Herangehensweisen, die er gleich einem Experimentator aufgreift und untersucht.
Ich habe nun schon einige Ausstellungen von Johannes Busdiecker in unterschiedlichsten Räumen gesehen und bin immer wieder erstaunt, wie er mit immer ähnlichen Mitteln völlig neue Situationen schafft und dabei dennoch seinem Wunsch nach Erkenntnis über Zeit, Raum und Bewegung auf der Spur bleibt.
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Klaus Honnef
Zeichnung und Malerei, die überlieferten künstlerischen Techniken und Disziplinen, sind für Johannes Busdiecker lediglich Stationen auf dem Wege zu noch komplexeren Ausformungen künstlerischer Praxis. Weil keine bessere Bezeichnung zur Hand war, hat man sich darauf verständigt, diese als „Installationen“ zu apostrophieren. Inzwischen hat sich herausgestellt, daß darunter alles und nichts zu verstehen ist. Installationen führen häufig nur unklares künstlerisches Denken vor Johannes Busdiecker macht es sich da schwerer. Er verfolgt die Idee vom Ensemble künstlerischer Impulse. In diesem Zusammenhang spielt der Ort, wo er seine Ensembles hinstellt, eine entscheidende Rolle. Bisweilen liefert ein solcher Ort auch die Inspiration für eine Installation. Dabei interessiert den Künstler nicht allein die spezifische, architektonische Gegebenheit eines bestimmten Raumes, sondern ebenso, ja stärker dessen Geschichte. Erst seine Geschichte macht einen x-beliebigen Raum zu einem Ort. Johannes Busdiecker begreift Geschichte als einen Prozess beständiger Veränderung. Und vielleicht gilt seine besondere Aufmerksamkeit auch deshalb einer Erscheinung, die sich im Darstellungsmodus von Malerei und Zeichnung allenfalls als illusionistischer Effekt oder Allusion fassen läßt: der Bewegung.
Die Video-Installation talking about walking (1993) besteht aus einem quadratischen, verbleiten Wasserbecken, in das der Künstler vier Monitore mit der Mattscheibe zur Wasseroberfläche ausgerichtet versenkt hat, vier schlichten Stühlen, ebenfalls aus Blei, die an jeder Seite des Wasserbeckens, jeweils auf die Mitte hin plaziert sind, einer Videoschleife sowie einem Taktgeber, und auf die ansonsten ruhige Oberfläche des Wassers fällt in kontinuierlichem Abstand ein Tropfen, der auf der Wasserfläche konzentrische Ringe erzeugt. Die Videoschleife zeigt reihum. Ein Monitor ist „aufgeblendet“. Er sorgt für eine Art Kadenz. Mit diesem künstlerischen Ensemble findet Johannes Busdiecker eine wunderbare Balance von Ruhe und Instabilität, von Statik und Dynamik. Und wie in manchen seiner Bilder, die mit einem Wechsel von Positiv und Negativ arbeiten, ruft auch die Installation talking about walking den Eindruck von gleichzeitiger An- und Abwesenheit auf. Die menschliche Figur auf der linken Bildhälfte als „positiver Schattenriss“, auf der rechten in angedeutetem malerischen Volumen. Angesichts seiner Installation befinden sich die Betrachter in dieser verstörenden Situation von Teilnahme bei gleichzeitigem Ausgeschlossensein.
In jüngster Zeit hat der Künstler für seine Bilder Gaze verwendet, die er mit Säure behandelt, um zu malerischen Wirkungen zu gelangen. Neben Säuren benutzt er auch Katalysatoren bei der Herstellung seiner Bilder. Die figürliche Malerei bildet seinen künstlerischen Hintergrund. Johannes Busdiecker realisiert sein Programm in Folgen von aufeinanderbezogenen Arbeiten – auch diese bilden ein Ensemble. Und ebenfalls instrumentieren sie das Thema der Bewegung. Ein Repertoire von Standardfiguren, die sich unablässig wandeln, belebt seine Bilder, gewissermaßen verflüssigte Körper. Zu Recht weist der Künstler darauf hin, daß auch Blei, das Material für die Video- Installationen, ein „weicher Stoff“ ist.
So entpuppt sich plötzlich als Einheit, was auf den ersten Blick heterogen, widersprüchlich anmuten mag. Denn die Korrespondenzen zwischen den einzelnen Bestandteilen der Ensembles der künstlerischen Arbeit von Johannes Busdiecker wie auch der unterschiedlichen Disziplinen, die er angeht, sind evident.
For Johannes Busdiecker drawing and painting, the traditional techniques and disciplines of art, are only stages on the way to more complex forms of artistic practice. As there was no better term available one agreed to name these forms “installations”. In the meantime it has been proved that this means all and nothing. Often the installations demonstrate equivocal artistic thinking. However, Johannes Busdiecker takes it more serious. He follows the idea of the ensemble of artistic impulses. In this context the location, where he places the ensemble plays a major role. Sometimes such a location eyen serves as the inspiration for such an installation. It is not just the architectural conditions of a particular room that the artist is interested in but also, and even more so, it's ‘history’. It is it’s ‘story’ or ‘history’ that turns any old room into a location. Johannes Busdiecker understands ‘history’ as a process of constant development. And may be that is why his particular attention is paid to an appearance, that is hardly to describe in painting and drawing: the movement.
The video-installation talking about walking (1993) consists of a square, lead-coated water-basin, in which the artist has sunk four monitors facing the watersurface, four simple chairs, also lead-coated, placed at each side of the basin and facing the centre, a continually self-repeating video as well as a metronome. In constant intervals a drop fall on the quiet surface of the water and produces concentric rings on the watersurface. One monitor is “on full beam”. It ensures a kind of cadence. With this artistic ensemble Johannes Busdiecker finds a wonderful balance between quietness and instability, between static and dynamic. And as some of his pictures the installation talking about walking also arouses the impression of presence and absence at the same time. In his pictures the human figure on the left half is presented as a “positive silhouette” and on the right half in suggestive picturesque volume.
As far as this installation is concerned, the beholders are in the disturbing situation of attendance and at the same time of exclusion. Recently the artist has been using gauze for his pictures that he treated with acid to come into picturesque effects. Apart from acids he also uses catalic converter for the construction of his pictures. The figurative painting serves as his artistic background. Johannes Busdiecker realises his programme in sequences of works that refer to another – these works also form an ensemble, and they instrumentalise the motif of motion. His pictures are livened up by a repertoire of standard figures, which are constantly changing, almost like liquefied bodies. Rightly he points out that also the lead, the material for his video-installations is a “smooth substance”.
Thus, what seemed to be heterogeneous and contradictory at first glance, suddenly turns out to be a union, because the correspondence between the single elements of the ensemble of Johannes Busdiecker’s artistic work and of the different disciplines, that hetries out are evident.
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Susanne Hinrichs
Kunstwissen-
schaftlerin
„Den Bildern den Raum erklären“
Auszug aus der Eröffungsrede
Galerie F38 Bremen,
Mai 2000
Warum muß man eigentlich den Bildern den Raum erklären? Sollten nicht die Bilder uns etwas erzählen über den Raum, oder über die Welt. Sollten sie nicht Erklärung bieten über Unerklärliches, über Dinge, die uns immer wieder fragen lassen warum, wieso, weshalb? Den Bildern den Raum erklären. Welchen Raum eigentlich? Den architektonischen Raum, den Geschichtsraum, den Raum, den unsere Gedanken einnehmen.
Der Philosoph Michel Foucault unterteilt den Raum in zwei Kategorien: wenn er vom inneren Raum spricht, meint er damit den Raum unserer ersten Wahrnehmung, den unserer Träume, den Raum unserer Leidenschaften. Den Raum des Äußeren dagegen beschreibt er als einen nicht von Grund her leeren Raum. Er sagt: „Wir leben nicht in einer Leere, die nachträglich mit bunten Farben eingefärbt wird. Wir leben innerhalb einer Vielfältigkeit von Beziehungen, die Plazierungen definieren, die nicht aufeinander zurückzuführen und nicht miteinander zu vereinen sind.“ Dieser Versuch der Unterscheidung von Raum und Raum führt laut Foucault aber nicht zu einer endgültigen „Entsakralisierung des Raumes“, wie er es nennt: „Trotz aller Techniken, die Ihn besetzen, und dem ganzen Wissensnetz, das ihn bestimmen und formalisieren läßt, ist der zeitgenössische Raum wohl noch nicht gänzlich entsakralisiert. Gewiß hat es eine bestimmte theoretische ‚Entsakralisierung‘ des Raumes gegeben, aber wir sind vielleicht noch nicht zu einer praktischen ‚Entsakralisierung‘ des Raumes gelangt.“
Diese Äußerung Foucaults im Jahre 1967 anläßlich eines Vortrages in Paris über „Andere Räume“ könnte für Johannes Busdiecker ausschlaggebend gewesen sein über Räume nachzudenken. Ich sage bewußt „könnte“, denn der Künstler bezieht sich nicht explizit auf die Worte dieses Philosophen. Der Gedankengang, den Foucault aber vor 30 Jahren vorgelegt hat, und der seinerseits auf Galileis Vorstellung des Universums zurückzuführen ist, ist aber eine ähnliche und daher die Gegenüberstellung durchaus legitim. Es brennt dabei natürlich die Frage: ist es Johannes Busdiecker gelungen, zu Beginn eines neuen Jahrtausends die alte Frage zu klären, oder gar den Raumzu entsakralisieren?
Eine Antwort darauf erhalten wir nur, wenn wir uns im Folgenden dem zuwenden, was wir heute hier unmittelbar sehen und erfahren können.
Ein Bunker als Ausstellungsraum ist sicher ein recht ungewöhnlicher Ort, auch wenn der Trend sich zunehmend durchsetzt gerade ungewöhnliche Orte zu Kunstorten zu machen. Schon seit den 60-er Jahren und eigentlich schon seit Duchamp in den 10-er und 20-er Jahren suchen Künstler nach einem neuen Kunstverständnis, welches nicht mehr nur das Werk als isoliertes Objekt zu fassen mag, sondern immer mehr seine Umgebung, seinen Raum eben, reflektiert.
Johannes Busdiecker läßt sich von besonderen Orten anziehen und benutzt den vorgefundenen Raum als Inspirationsquelle. Ganz unmittelbar und zugleich mit einer intuitiven Zielgerichtetheit geht Busdiecker dabei vor, was vielleicht eine kleine Geschichte, die uns während der Vorbereitung der Ausstellung widerfahren ist, belegen kann: Die über das Telefon vermittelte, Beschreibung des Ortes, die ich damals versuchte, das es sich um einen Bunker handelte, mit Wohnung auf dem Dach und unten fast unveränderten Galerieräumen, stieß zunächst auf soviel Interesse, daß Johannes Busdiecker zusagte, sich den Raum einmal anzusehen. Die Begehung ergab Folgendes (und eigentlich hätte ich es vorher ahnen müssen): Die Galerieräume sind gut, aber wirklich interessiert war er an den zwei oberen Räumen, die dem Hauseigentümer als Abstellkammer bzw. Werkstatt dienen. Nicht der für Kunst ausgeschriebene Ort war relevant, sondern der zunächst unscheinbare, unordentliche, nicht weiß gestrichene Raum. Hier wollte er agieren, denn hier findet er den nicht leeren Raum mit den Farbflecken und deren Beziehungen und Verflechtungen vor, von dem Foucault sprach, und welches der eigentliche wahre, lebendige Raum ist.
Eine Vorstellung darüber, was er hier installieren wird, war schnell eindeutig, während die Ausgestaltung der unteren Räume einem langen Prozeß unterlagen und viele Gespräche forderten.
Nun sprach Foucault von zwei Kategorien des Raumes, dem Inneren und dem Äußeren. Der Innere Raum des Bunkers ist seine Funktion als Schutzraum, seine Geschichte zu Kriegszeiten und die vielleicht menschlichen Dramen die sich hier abgespielt haben mögen.
Der Äußere Raum ist seine Architektur, die dicken Wände, die weder Wärme noch Kälte wirklich durchdringen lassen, der nahezu hermetisch abgeschlossene Raum. Und die Spuren an den Wänden, die abgeplatzte Farbe, einzelne Worte und Zeichnungen von welcher Hand auch immer. Besonders aber die Symetrie der gegenüberliegenden Räume sprachen die Sinne des Künstlers an. Jeweils ein Zelt hat Busdiecker hier aufgestellt. Fast spiegelverkehrt einander gegenüber stehend, ohne sich wirklich gegenseitig wahrnehmen zu können.
Das Paradoxon eines, bzw. zweier Zelte in einem Gebäude unterzubringen, welches ohnehin Schutz vor jeder Art von Gefahr bieten kann, wird schnell offensichtlich. Das Zelt hat es da als Schutzfunktion sehr viel schwerer. Soll aber selbes meinen. Also ein Raum/Behausung im Raum. Eine Dopplung, die auch auf inhaltlicher Ebene deutlich wird. Ein Zelt läßt an zweierlei erinnern und eigentlich bedarf es nicht vieler Accessoires seitens des Künstlers dies zu bebildern. Ein Koffer steht neben dem einen Zelt und die Assoziation an Flucht und Flüchtlingslager kommt dem Betrachter in den Sinn. Auf der anderen Seite steht zufällig ein Fahrrad und sogar ein Surfbrett im Raum und es ist klar, daß hier das Ferienzelt gemeint ist. Die Installation ist in Schwarzlicht getaucht und die Türausschnitte mit einem mit Folie bespannten Keilrahmen verschlossen. Diese hermetische Verriegelung erweckt den Eindruck, als sei die Szenerie nicht wirklich, es erscheint wie ein Bild, wie ein flüchtiger Gedanke, der sogleich wieder verfliegt.
Das nicht eindeutige Bild, welches sich je nach Betrachterstandpunkt verändert, bietet demnach genügend Fläche für eigene Projektionen und für unterschiedliche Wahrnehmungsmöglichkeiten. Der erforderliche Standortwechsel impliziert eine Bewegung die nicht nur eine rein äußerliche sondern auch eine der Gedanken sein kann. Kant sagt: Erkenntnis über das WIE erlangen wir immer über Sinneseindrücke, das WAS erfahren wir über die Vernunft. Diese Erkenntnis unterliegt aber Bedingungen, die in uns selber liegen und unsere Erfahrung prägen. Zwei Formen dieser Anschauung sind Raum und Zeit. Für Kant sind diese zwei Parameter nicht nur grundlegende Voraussetzung zu erfahren, sie sind vielmehr unumgänlich in uns hineingeborene Strukturen, die zu Erkenntnis führen. Wie eine rosa gefärbte Brille stehen Raum und Zeit immer schon vor der Erkenntnis. Sie sind Eigenschaften unseres Bewußtseins und nicht der Welt. Bevor wir also eine Erfahrung machen können wir sicher sein, daß diese unbedingt in Raum und Zeit existiert. Demnach kann keiner eine Erklärung darüber abgeben wie die Welt ist, einzig darüber wie sie uns erscheint läßt sich eine Aussage machen.
Erkennen von Welt und ihr Erscheinen ist auch Thema Johannes Busdieckers. Er greift die Theorie Kants nicht bewußt auf, aber sie manifestiert sich in seinem Werk. Der Künstler wagt sogar noch einen weiteren Schritt, der scheinbar in Kants Aussage fehlt. Busdiecker geht davon aus, das Erkenntnis nur möglich ist durch Bewegung, das heißt Bewegung führt zu Erkenntnis und ist gleichzeitig auch Erkenntnis im Sinne von Erfahrung. Durch Bewegung erreiche ich andere Standpunkte und neue Blickwinkel, doch auch diese Bewegung findet immer in Raum und Zeit statt. Die Bilder und Installationen fordern zu dieser Bewegung auf und vergegenwärtigen uns das Spiel mit Raum und Zeit.
Um Bewegung im Sinne von Prozessen geht es dem Künstler in den neuen und älteren Bildern, die nicht eigenständig sondern als Teil des Ensembles zu verstehen sind. Busdiecker verwendet Gaze, die er präpariert indem er sie um Metallplatten wickelt, feucht hält und Druck ausübt. Dies geschieht 10 Minuten lang, drei Tage oder vier Wochen und wird erst dann beendet, wenn die Gaze durch Korrosion eine den Vorstellungen des Künstlers entsprechende Struktur angenommen hat.
Es liegen diesem Verfahren, welches durch minimale Zugaben von Säuren beeinflußt werden kann, zwei Formen von Bewegung zugrunde. Zum einen die Bewegung von einem Zustand in den anderen. Von unbehandelter Metallplatte über Korrosion hin zu einer Veränderung der Gaze. Diese Bewegung ist nicht, oder nur kaum beeinflußbar und bezieht den Zufall immer bewußt oder unbewußt mit ein. Der andere Eindruck der Bewegung entsteht vor dem fertigen Bild selbst, durch Oszillation der monochromen Farbe und Beize und die nie eindeutig geometrische Form der Gaze. In fast allen Leinwandarbeiten des Künstlers findet sich ein Stück derart behandelter Gaze, aber auch Bitumen als tiefschwarze und zugleich reflektierende Farbe, sind immer wieder auftretende Komponenten des künstlerischen Schaffens.
Neuerdings verwendet Busdiecker Folie als Bildträger, was dazu führt, daß hinter dem Bild Liegende sichtbar und somit Teil des Bildes wird. Durch die Dopplung der Leinwand ergeben sich je nach Standort des Betrachters unterschiedliche Bilder, wobei es ein richtiges, oder optimales Bild nicht gibt. Dieses häng, um im Sinne Kants zu sprechen, immer von der individuellen Einsichtigkeit des Betrachters ab. Ein Blick über die Bilder verrät auch die Vorliebe des Künstlers zu quadratischen Formen. Mal groß, mal klein, mal präzise umrissen, mal mit unsicherer Linie suchend, findet das Quadrat immer wieder seinen Platz in Busdieckers Leinwänden.
Einige dieser geometrischen Figuren formen sich aber nicht aus der Hand des Künstlers, sondern sind durch das Format eines kleinen Polaroidfotos vorgegeben, welches der Künstler als selbstständiges Element in die Arbeiten integriert.
Ähnlich wie die Gaze den eingeleiteten Prozeß selbst vollzieht, entwickelt sich auch das Polaroid – einmal auf den Auslöser der Kamera gedrückt – von selbst. Es zeigt immer wieder das selbe Motiv zu verschiedenen Tages- und Jahreszeiten. Es ist also nicht nur geometrische Form innerhalb zahlreicher Varianten des Quadrats, sondern trägt auf der inhaltlichen Ebene zu der Gesamtstruktur des Ensembles bei. Denn in diesem Abbild manifestiert sich zum einen der Raum, immer derselbe, aus der gleichen Perspektive und ohne Überschneidungen. Zeigt uns der Künstler unterschiedliche Lichtverhältnisse, so spielt er zugleich auf die oben schon erwähnten Zusammenhänge von Raum und Zeit an, der sich im gesamten Werk seines Schaffens manifestiert.
Im „Schwarzlichtraum“ begegnet uns eine zunächst völlig neue Situation, die vielleicht etwas befremdlich wirkt und den Eintretenden zögern läßt. Doch eigentlich findet sich hier nicht wirklich Fremdes oder gar Bedrohliches, der einzige Unterschied ist der, daß wir schon während wir gehemmt den Raum betreten, Teil seiner selbst werden und somit Teil des Kunstwerkes. Sobald der Betrachter in dieses merkwürdig blaue Licht eintaucht, kann er sich dem nicht mehr entziehen, ein zweiter Betrachter sieht ihn nur noch in diesem blauen Licht, er hat keine andere Chance der Wahrnehmung mehr. Erinnern wir uns doch an Kants rosa Brille und seinen Weg zur Erkenntnis. Raum und Zeit sind hier zwar nicht rosa, Busdiecker macht sie aber dennoch sichtbar und unmittelbar spürbar, eben blau.
Aber diese Installation wäre nicht die des Künstlers, den wir bereits kennengelernt haben wenn er nicht noch ein weiteres Spiel treiben würde. Mit seinen Installationen bezieht sich Busdiecker nicht nur auf Raum und Zeit im allgemeinen, sondern auch im Spezifischen. Scheinbar wahllos in die Ecke geworfene Monitore zeigen im 20 Sekundentakt drei verschiedene Bildfolgen. Ein von der Seite gefilmter Gehender, eine Person die versucht einen Klappstuhl zusammenzulegen und das uns schon bekannte Polaroid der Landschaftsaufnahme als filmische Sequenz. Alle drei Sequenzen stehen für Kants Zeit und Raum und für Busdieckers Bewegung. Der Gehende schreitet von A nach B legt also eine Strecke zurück, definiert einen Raum, dies ist nur möglich durch Bewegung und es vergeht Zeit. Ebenso das Szenenbild der Landschaft, nur daß hier die Verhältnisse umgekehrt werden. Und hoffentlich erlangt der Verzweifelte mit seinem Stuhl endlich die Erkenntnis, daß man einen Klappstuhl nicht einfach zusammen klappen kann.
Ein Blick in das leere Bild an der gegenüberliegenden Wand läßt uns selbst als denjenigen erkennbar werden, der den Stuhl zusammenlegt.
Um dieses Spiel von Zeit und Raum, das nur durch Bewegung ermöglicht wird, kreist die vielfältige Arbeit des Künstlers seit Jahren. Die unterschiedlichen Medien ermöglichen dem Autodidakten immer neue Herangehensweisen, die er gleich einem Experimentator aufgreift und untersucht.
Ich habe nun schon einige Ausstellungen von Johannes Busdiecker in unterschiedlichsten Räumen gesehen und bin immer wieder erstaunt, wie er mit immer ähnlichen Mitteln völlig neue Situationen schafft und dabei dennoch seinem Wunsch nach Erkenntnis über Zeit, Raum und Bewegung auf der Spur bleibt.
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© Johannes Busdiecker
© Johannes Busdiecker